„Design anders denken“ – Die Zürcher Professorin Angeli Sachs fordert einen bewussten Umgang mit ökologischen Ressourcen und echte Partnerschaften zwischen Nord und Süd.
Angeli Sachs, vergangenen Herbst zu Gast im Studio Chargesheimer als erste Rednerin der CHARGESHEIMER LECTURE, befasst sich mit Design, das die Welt verändern will. Die Professorin für Curatorial Studies lehrt an der Zürcher Hochschule der Künste. Für das Museum für Gestaltung Zürich hat sie zahlreiche Ausstellungen kuratiert, darunter „Social Design – Partizipation und Empowerment“. 2018 veröffentlichte sie eine gleichnamige Publikation. Am 15. November 2019 präsentierte Angeli Sachs ihre Arbeit auch in Köln. Wir waren begeistert und wollten mehr wissen: Im Interview für studiochargesheimer.blog hat sie unsere Fragen beantwortet.
(Das Gespräch führte Silke Feuchtinger.)
CHARGESHEIMER LECTURE #1 , 15. November 2019, Atelier Coloina, Köln – Fotos: Jana Ludwig
Liebe Frau Sachs, Sie befinden sich gerade in Ihrer Privatwohnung in Zürich. Haben sie ein Beispiel für Design, das Sie besonders schätzen, in Ihrer nächsten Nähe?
Ja. Ich habe hier in meinem Zimmer die Mayday-Leuchte von Konstantin Grcic stehen. Das ist wirklich ein Stück Design, dass ich sehr schätze. Ich sah sie, kurz nachdem sie im Jahr 2000 erschienen ist, in einem Münchner Lampengeschäft, bin direkt hineinspaziert und habe sie gekauft. Mittlerweile habe ich sogar zwei. Ich finde sie toll in ihrer Multifunktionalität, in ihrer klugen Idee und auch in ihrer Einfachheit. Deswegen ist sie jetzt auch schon lange dabei und begleitet mich durch mein Leben.
Wann wird aus gutem Design Social Design?
Von Social Design spreche ich, wenn der gesellschaftliche Kontext bewusst mitgedacht wird. Im besten Falle sollte es im Dialog mit den Menschen, für die das Design gedacht ist, entwickelt werden, vielleicht sogar mit ihrer Partizipation. Natürlich braucht es auch weiterhin Fachwissen. Aber ganz wichtig ist, dass Designerinnen und Designer, Architektinnen und Architekten nicht irgendetwas planen, was an den Bedürfnissen der Menschen, die es benutzen sollen, vorbeizielt.
Gibt es denn Design-Beispiele, die in der Lage sind, der ökologischen Krise konkret entgegen zu wirken?
Das ist nicht mein Fach, da möchte ich bescheiden bleiben. Ich blicke aber voller Schrecken auf die Erkenntnisse der Wissenschaft, deren erklärte Anhängerin ich bin. Wenn wir auf dem aktuellen CO2-Fußabdruck weiterleben – und da gehört ja sowohl die Produktion als auch unser persönlicher Verbrauch dazu – dann wird es richtig schief gehen. Ich lebe in der sehr privilegierten Schweiz. Wir verbrauchen hier ein Vielfaches von dem, was wir verbrauchen dürften. In Köln ist es wohl auch nicht viel anders. Es liegt natürlich an jedem einzelnen, seinen Lebensstil zu überdenken, aber insgesamt spielt sich das Ganze in größeren Szenarien ab. Da muss dringend ein Umdenken stattfinden.
Welche aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen sehen Sie, auf die mit Social Design reagiert werden sollte?
Der aktuelle gesellschaftliche Zustand ist für uns alle eine große Herausforderung. Denn auch wenn die globalisierte Welt natürlich viel Positives wie Weltoffenheit, Austausch und Reisemöglichkeiten mit sich bringt, sind die Schattenseiten doch enorm: Ökonomisierung in allen Bereichen, Ausbeutung von Ressourcen, Vorstellungen von immerwährendem Wachstum. Angesichts der ökologischen Krise, der wir gegenüberstehen, muss uns doch klar sein, dass das kein Konzept für die Zukunft sein kann. Und auch die Schere zwischen Menschen, die etwas besitzen, und Menschen, die nichts besitzen und chancenlos sind, geht immer weiter auf. In dieser Situation wird ganz klar deutlich, dass Design nicht länger einfach nur schöne Objekte produzieren kann, mit denen ja dann auch der Konsum immer weiter angeheizt wird, sondern dass wir Design anders denken müssen.
Welche Umstände sind nötig, damit sich gute Ideen in die richtige Richtung entwickeln können und dann auch eine entsprechende Wirksamkeit erreichen?
Die Politik ist auf jeden Fall stark gefragt. Ich möchte niemandes guten Willen in Abrede stellen, aber was momentan beschlossen ist, reicht ganz klar nicht aus. Es braucht vermehrt politische Initiative, es braucht entsprechende Förderung von Nachhaltigkeit. Reparatur und Recycling zum Beispiel müssen sich wieder lohnen. Dinge, die man gut zerlegen, recyceln, neu aufbauen kann – alles das muss beim Design mitgedacht werden. Wenn uns heute ein Gerät kaputt geht, kapitulieren wir doch in der Regel und kaufen gleich etwas Neues. Das muss weniger werden. Natürlich soll man sich auch ab und zu etwas Schönes kaufen dürfen. Aber insgesamt müssen wir zu einem Lebensstil finden, der nachhaltiger und damit auch sozialverträglicher ist.
Kann Social Design auch speziell für den urbanen Raum westlicher Großstädte wirksam sein? Sind Sie im Zuge Ihrer Forschung auf Beispiele gestoßen?
Unsere Gesellschaft ist heute sehr heterogen. Wir müssen schauen, dass wir uns nicht in lauter Parallelgesellschaften aufspalten, die nichts mehr miteinander zu tun haben. Eine große Gefahr besteht auch darin, dass die Menschen vereinzeln. Viele sind fast nur noch mit ihrem Handy, Laptop oder Tablet beschäftigt – auch weil die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem nicht mehr scharf gezogen sind. Es müssen Initiativen passieren und gefördert werden, die die Menschen zusammenbringen. Ein gelungenes Projekt in Berlin ist zum Beispiel die Kooperation der Schlesischen27 und raumlaborberlin. Hier geht es darum, dass bereits vorhandene Nachbarschaften mit neu eingewanderten Menschen zusammenkommen und sich austauschen. Es ist ja bekannt, dass man Menschen anders beurteilt, wenn man sie erstmal kennengelernt hat.
Ausstellung “Social Design”, Museum für Gestaltung Zürich, 2018 – Fotos: Angeli Sachs
Auch beim Kölner Chargesheimer Projekt geht es um die Frage, wie sich urbaner Raum gemeinsam gestalten lässt, inspiriert von Fotografien des Kölner Künstlers Chargesheimer. Gibt es etwas, das Ihnen an der Projektidee besonders gut gefällt?
Das Projekt insgesamt beeindruckt mich sehr, vor allem auch der Ort, die Körnerstraße. Diese ganze Vermischung: Wohnen, Arbeiten, Läden und Kneipen – und dann noch die kulturelle Initiative des PhotoBookMuseum. Das ist einfach super. Ich glaube, dass beim Chargesheimer Projekt alle Komponenten zusammenkommen, die es braucht. Die Menschen, die in Köln zu meinem Vortrag gekommen sind, habe ich als sehr interessiert erlebt. Sie sind gemeinsam an den Themen dran, bestimmt nicht immer über alles einig, aber auf jeden Fall miteinander im Dialog. Das hat mich sehr positiv gestimmt.
Sehen Sie bei Ideen wie dem Chargesheimer Projekt auch Probleme oder Grenzen?
Nachbarschaftliche Initiativen kann man nicht ausdehnen bis zum Geht-nicht-mehr, sonst bleibt der Effekt nicht erhalten. Insgesamt müssen auch die Städte in die Pflicht genommen werden und sich so konzipieren, dass sie nicht länger die Autostädte der Nachkriegszeit bleiben: durch das Stärken des öffentlichen Verkehrs, das Schaffen von Begegnungszonen durch Plätze und ähnliche Infrastrukturen. Da kann man stadtplanerisch sehr viel machen. Räume sollten dabei architektonisch, sozial und als Idee gleichermaßen gedacht werden. Und dann ist es natürlich auch an den Menschen selbst, aus ihrem isolierten kleinen Leben herauszutreten und anderen zu begegnen.
Sie wurden in Köln im Anschluss an Ihren Vortrag mit harscher Kritik konfrontiert. Überspitzt ausgedrückt lautete der Vorwurf, mit einer westeuropäisch-privilegierten Prägung könne kaum ein unvoreingenommener Blick auf die Situation benachteiligter Menschen im globalen Süden stattfinden. Inwiefern gab es hier ein Missverständnis? Und: Sind Sie solche Reaktionen gewohnt?
Wenn man sich mit Themen, die politisch und gesellschaftlich relevant sind, hinter der Hecke hervorwagt, muss man immer mit Kritik rechnen. Daran bin ich gewöhnt. Und das hat ja auch seine positiven Seiten: Möglicherweise zeigt ein Argument tatsächlich einen blinden Fleck auf, den man nicht bedacht hat. Bezogen auf die Zusammenstellung, die ich als Rednerin der Chargesheimer Lecture präsentiert habe, ist die Kritik jedoch meines Erachtens nicht berechtigt. Ich habe die Situation in einer Art Übergangsphase abgebildet: Sicherlich läuft vieles noch nicht optimal, aber ich bin überzeugt davon, dass alle vorgestellten Projekte grundsätzlich hehre Ziele verfolgen. Im Vordergrund des Social-Design-Gedankens steht Self-Empowerment. Es darf niemals darum gehen, Menschen von irgendetwas abhängig zu halten. Ganz wichtig sind echte Partnerschaften.
Können Sie Beispiele für einen gleichberechtigten Austausch nennen?
Ein schönes Projekt sind die Schulneubauten von Kéré Architecture. Diébédo Francis Kéré stammt aus Burkina Faso, heute lebt er in Berlin. Wissen aus seinem Herkunftsland bringt er mit Wissen aus Deutschland zusammen, um schließlich mit gemeinschaftlich geplanten Schulbauten den Bildungssektor in Burkina Faso voranzubringen. Dabei kommen regionale Ressourcen und lokal produzierte Baumaterialien zum Einsatz. Überhaupt ist Bildung ein sehr wichtiger Aspekt: Es müssen große Anstrengungen unternommen werden, damit bislang weniger privilegierte Länder verstärkt ihre eigenen Fachkräfte ausbilden können. Im Idealfall sollte der globale Norden sein Wissen teilen und gleichzeitig selbst dazulernen. Die aktuelle Debatte um koloniale Raubkunst passt gut in diesen Kontext. Wie unterscheiden sich die Vorstellungen von einem funktionierenden Museum in Europa und in Afrika? Wie bewahrt man Kulturgut? Und wie nimmt man Rücksicht auf vielleicht ungewohnte Vorstellungen? Wenn alle Seiten ihr Wissen gleichberechtigt austauschen, dann kommen auch alle voran. Deshalb finde ich Dialog und Partizipation so enorm wichtig.
Welchen Gedanken möchten Sie speziell den Mitstreiterinnen und Mitstreitern des Chargesheimer Projekts mit auf den Weg geben?
Ich habe mich unglaublich gefreut, dieses tolle Vorhaben in Köln kennenzulernen. Mir geht es in meiner Forschung ja keineswegs nur um den Blick auf andere Kontinente, sondern gerade auch sehr stark um die Entwicklungen in unserer eigenen Gesellschaft. Und hier leistet das Chargesheimer Projekt wirklich ganz wichtige Arbeit – weiter so!
Social Design
Partizipation und Empowerment
Museum für Gestaltung Zürich,
Angeli Sachs (eds.)
Lars Müller Publishers, 2018
Prof. Angeli Sachs
Kunsthistorikerin, Museologin und Kuratorin, ist seit 2009 Leiterin des Master of Arts in Art Education Curatorial Studies an der Zürcher Hochschule der Künste.
Zuvor war sie Kuratorin (2006–2019) und Leiterin Ausstellungen (2006–2012) am Museum für Gestaltung Zürich, Studiengangleiterin des Master of Arts in Art Education an der Zürcher Hochschule der Künste (2014–2017), Programmleiterin für Architektur und Design beim Prestel Verlag in München (2001–2005), Assistentin am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (1995–2000), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main (1994/1995) und Pressereferentin des Frankfurter Kunstvereins (1990–1993).
Sie hat zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zu Architektur, Design, Kunst, Kultur und Curatorial Studies des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart verantwortet, für das Museum für Gestaltung Social Design, 2018 (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2019); Design Studio: Prozesse, 2017; Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt, mit Christian Brändle, 2012 (seitdem Wanderausstellung); Global Design, 2010; Nature Design, 2007; und: Jewish Identity in Contemporary Architecture, mit Edward van Voolen, Joods Historisch Museum Amsterdam u.a., 2004; Museen für ein neues Jahrtausend (mit Vittorio Magnago Lampugnani, Hessenhuis, Antwerpen u.a), 1999; Im Raum der Erinnerung, Neuer Kunstverein Aschaffenburg, 1995.